Eine Nahaufnahme der PCBs des Temperatursensors mit beschrifteten Komponenten.
Nahaufnahme eines USB-zu-TTL-Seriell-Adapters, der über gelötete Kabel mit dem Temperatursensor verbunden ist.
Installationsansicht der Ausstellung „re-coding everyday technology“ in Mainz.
Ausstellung „re-coding everyday technology“, Credits: Janosch Boerckel
LED-Panel mit einer pixeligen Slideshow aller während des Projekts gekauften Temperatursensor-PCBs auf der Ausstellung „re-coding everyday technology“ in Mainz.
LED-Panel zu „Cutting the Cloud“ auf der Ausstellung „re-coding everyday technology“, Credits: Janosch Boerckel

Cutting the Cloud

Datum:

11.10.2023

Kategorie:

Hacking

Während unsere Häuser immer smarter werden, wird technologische Infrastruktur zu einem integralen Bestandteil unserer Wohnungen. Dies verändert unser Verhalten und unsere Interaktion mit einem unserer privatesten und sensibelsten Lebensräume.

Cutting the Cloud ist ein künstlerisches Forschungs- und Hacking-Projekt, das die vielschichtige Infrastruktur rund um die Smart-Home-Technologie untersucht. Anhand eines batteriebetriebenen Temperatursensors von Aliexpress als Fallstudie untersucht das Projekt versteckte wirtschaftlichn Zusammenhänge, Arbeitsbedingungen und Datenabhängigkeiten, die es ermöglichen, solche Geräte zu unfassbar niedrigen Preisen zu verkaufen. Das Projekt endet mit dem Versuch, das Gerät aus seinem proprietären Cloud-Ökosystem zu befreien, was sowohl eine technische Herausforderung als auch ein künstlerisches Statement zur digitalen Unabhängigkeit darstellt.

Recherche und Untersuchung

Zu Beginn des Projekts wurde eine Analyse mittels Reverse Engineering durchgeführt, um die tatsächlichen Kosten des Temperatursensors zu ermitteln. Dazu wurden die Preise der Komponenten aufgeschlüsselt und die Lieferkette von den Produktionsstätten in Shenzhen bis zu den Dropshipping-Aktivitäten auf westlichen Plattformen zurückverfolgt. Dabei zeigte sich, dass subventionierte Versandkosten, niedrige Arbeitskosten und die Politik der Sonderwirtschaftszonen es ermöglichen, Geräte mit Komponenten im Wert von etwa 4€ für knapp 7€ im Einzelhandel zu verkaufen. Die Untersuchung ergab zudem, dass dieselben Geräte bei Amazon zum 2,8-fachen des AliExpress-Preises angeboten werden. Dies verdeutlicht die vielfältigen Wertschöpfungsebenen im globalen Elektronikhandel.

Konzept

Das zentrale Konzept dreht sich um das "Cutting the Cloud". Dahinter steckt die Idee, Smart Devices von der Abhängigkeit von der Cloud zu befreien. Gleichzeitig werden die undurchsichtigen Systeme untersucht, die alltägliche vernetzte Geräte umgeben. Das Projekt zeigt, wie billige Smart-Home-Geräte den Überwachungskapitalismus in unsere privatesten Räume einladen, obwohl sie auf den ersten Blick harmlose Tools für mehr Komfort sind. Indem es analysiert, wer von dieser Konstellation profitiert und zu welchem Preis, wirft das Projekt kritische Fragen zum wahren Preis „intelligenter“ Bequemlichkeit auf und erforscht, wie digitale Unabhängigkeit in der Praxis aussehen könnte.

Technischer Prozess

Der technische Prozess umfasste mehrere Versuche, die Temperatursensoren zu hacken und neu zu programmieren, wobei von Software-Exploits zu Hardware-Modifikationen übergegangen wurde. Erste Versuche mit Tuya Convert waren erfolglos, da die Hersteller von ESP-Chips auf proprietäre Module auf BEKEN-Basis umgestellt hatten. Ein neuerer Exploit namens Tuya Cloudcutter schaffte es, die ESPHome Kickstart-Firmware zu flashen, konnte jedoch die begrenzten Kommunikationsfenster batteriebetriebener Geräte nicht überwinden. Dies führte zu physischen Modifikationen, darunter das Löten von Verbindungen zum direkten Flashen der benutzerdefinierten Firmware und das Reverse Engineering der Kommunikationsprotokolle des Geräts. Der Durchbruch gelang schließlich mit tinytuya, einer von Jason Cox entwickelten Python-Bibliothek. Diese Bibliothek ermöglichte die lokale Gerätesteuerung ohne Firmware-Modifikation und erforderte lediglich eine anfängliche Cloud-Verbindung, um die erforderlichen Authentifizierungsschlüssel zu extrahieren.

Ergebnis

Obwohl die ursprüngliche Vision, die Displays des Geräte für visuelle Animationen zu nutzen, aufgrund der Schutzmechanismen des TuyaMCU-Chips nicht vollständig umgesetzt werden konnte, demonstrierte das Projekt erfolgreich die lokale Gerätesteuerung. Eine umfassende Dokumentation des Forschungsprozesses wurde ebenfalls erstellt und auf einer Website veröffentlicht. Der Temperatursensor steuert nun die Sichtbarkeit der Inhalte der Website. Je wärmer der Raum, desto mehr Informationen werden zugänglich, wodurch eine direkte Verbindung zwischen dem physischen Gerät und den digitalen Inhalten hergestellt wird. Dieses Projekt dient als technische Untersuchung und künstlerische Reflexion über unsere Beziehung zu intelligenter Technologie und wirft Fragen über die Opfer auf, die wir für mehr Komfort bringen, sowie über die potenziellen Anforderungen einer Befreiung von der Cloud.

Ausstellungen

Cutting the Cloud wurde bereits auf folgenden Ausstellungen gezeigt:

2023: re-coding everyday technology – Ausstellung und Publikations-Launch, Mainz, Deutschland